Im Vorfeld dieses Posts habe ich mir so sehr gewünscht, noch nie eine Bar betreteten zu haben. Denn so fest haben sich schon die konventionellen Muster der üblichen Barräumlichkeiten in mein Gehirn gebrannt, dass der Versuch sich gedanklich von ihnen zu lösen, schwerer war als erwartet. Immer wieder merkte ich, wie mir mein Kopfinhalt einen Strich durch die Rechnung machte und immer wieder versuchte ich mich an die Bühnenkonzepte des Theaterwissenschaftlers Jerzy Grotowski zu klammern. Grotowski, der 1959 das Theaterlaboratorium in Polen gründete, war stets auf der Suche nach neuen Wegen der Inszenierung und theatralen Darstellung, dabei „verging“ er sich auch an den konventionellen Bühnenmodellen.
Bühnenszenerie von "Kordian"
Grotowski schaffte es, allein durch seine Bühnenstruktur eine Wirkung des Eintauchens in die Szenerie und die Inszenierung beim Zuschauer herzustellen. Während er in seiner Inszenierung von „Kordian“ eine psychatrische Klinik als Bühnenraum (und Zuschauerraum) wählt, sitzen in der Inszenierung des „Doktor Faustus“ die Zuschauer als Gäste des letzten Abendmahls an einer langen Tafel und für die szenische Handlung von „Der standhafte Prinz“ erschuf er eine Arena, in der das Publikum auf einen „verbotenen Akt“ herab blickt.
Oben die szenische Handlung von "Doktor Faustus" - unten von "Der standhafte Prinz"
Die Brücke, die es nun zu schlagen gilt ist folgende: Grotowski hat es durch seine (damals) neuartigen Bühnenformen geschafft, dass Theatererlebnis für den Zuschauer zu intensivieren. Ist es auch möglich das Erlebnis in einer Bar durch neue Raumkonzepte für den Gast intensiver oder schlichtweg schöner zu gestalten?
Ein erster typischer Fixpunkt im Barraum ist der Tresen, der eine klare Trennlinie zwischen „Bühne“ und „Publikum“ ist. Allerdings ist der Tresen auch funktional in der Arbeit der Bartender der essentielle Bestandteil und damit wird eine Auflösung dieser Struktur ungleich schwieriger. Schließlich beherbergt der Tresen zumeist auch eine Menge Arbeitsutensilien, wie Bartools, Flaschen, Kühlung, Eisbecken, Gläser, et cetera.
Der erste Ansatz der mir in den Sinn kam, war das Arbeiten an langen Tafeln, an den die Gäste entlang Platz finden, während der Bartender an den Kopfenden seiner Passion nachgehen kann. Die Vorteile lägen an der Nähe der Gäste untereinander, respektive zum Barmann. Nachteilig wäre allerdings, dass der Barmann bei den Stationswechseln nahezu permanent die Gäste hinter deren Rücken passieren müsste, was sich in Unbehagen und Unruhe beim Gast niederschlagen könnte. Ebenso wäre zu den mittig in der Tafel sitzenden Gästen die räumliche Distanz sehr groß.
Oben: Arbeiten an langen Tafeln - unten: flexibles Arbeiten an Separees (X markiert jeweils den Ort des Mixings)
Eine weitere Idee schlich sich während eines Fluges nach Berlin in meinen Kopf, als eine junge Dame mit ihrer Bordbar durch das Flugzeug schob. Kann man nicht auch auf festem Boden mit einem flexiblen Mixposten arbeiten? Geht man von einer mittigen, runden „Backbar“ mit Spirituosen, Eis, usw. aus, die sozusagen als Auffüllstation für den oder die beweglichen Posten fungiert und positioniert man die Gästeplätze separeeartig an den Rändern des Raums, müsste dies funktionieren. Die Vorteile liegen auf der Hand: Direktes Arbeiten am Gast, sehr hohe Servicequalität und ein für den Gast völlig neues Bargefühl. Denn der Gast wirkt wie der Zuschauer in einem Stadion, der die Geschehnisse nach Belieben in der „Arena“ verfolgen kann, oder eben nicht. Als Nachteile wären allerdings „harte“ Fakten zu sehen: der Raumaufwand wäre für eine verhältnismäßig kleine Anzahl an Gästen sehr groß und auch die Arbeitsgeschwindigkeit würde wohl der Flexibilität massiv leiden. Ebenso wäre auch die Nähe der Gäste untereinander auf „Grüppchen“ beschränkt, was natürlich einzelne Bargänger abschrecken könnte.
Einen dritten Ansatz regte ein Fachkollege vor einigen Wochen an, der auf meine Idee einer tresenlosen Bar, seinen Vorschlag einer stuhl- und tischlosen Bar einbrachte. Nachdem mein unqualifizierter Kommentar „Ein Club also…“ rückstandslos verhallte, wurde die Idee doch interessant. Anstatt wie im vorherigen Beispiel der Bartender flexibel wäre, wäre dadurch der Gast (gezwungenermaßen) flexibel. „Eine Abstellmöglichkeit rund um den Raum, mit einem zentrierten kleinen Mixposten“, war grob die Quintessenz. Einzig das Problem, das ein solches Konzept schnell in eine Bar-Club-Mischung abrutschen könnte, wäre bei diesem Beispiel schwierig zu beheben. Wobei man mit entsprechender Musik, Getränkeauswahl und Servicequalität dem sicher entgegenwirken könnte.
Eine ebenfalls völlig andere Richtung als die Tresenauflösung schlägt ein Einfall ein, der bei dem unlängst in der Arbeit aufgetauchten Begriff „Gästepool“ entstand. Das Konzept wäre wie ein altgriesches Theater aufgebaut, nur das die Gäste den Raum auf unterster Ebene der Arena betreten und hinauf steigen müssen zum Bartresen. Dadurch wäre die Trennung Bühne – Zuschauerraum zwar wiederhergestellt, aber eben verkehrt. Die Stufen würden sowohl als Sitz-, als auch Abstellgelegenheit dienen. Ebenso wäre eine flexible Bewegung der Gäste im Raum unvermeidbar.
Der Gast in der Arena, der die Stufen zum flüssigen Gold erklimmen muss
Daneben gibt es noch eine unendliche Zahl weiterer Möglichkeiten, den theatralen Raum der Bar neu zu inszenieren, es braucht nur noch jemand, der es sich auch traut neue Wege zu beschreiten, denn wie bei fast aller Neuerung, wirkt sie zunächst befremdlich. Dabei ist bei einer Bar nunmal auch nie der finanzielle Gesichtspunkt zu vergessen. Schließlich gilt es mit seinem Raumtraum auch ein paar Märker zu verdienen, sonst sind Träume nämlich schnell Schäume.
Wir sehen uns am Tresen – solang es ihn noch gibt.
Hannes